Geschichte direkt vor der Haustür
Veröffentlicht am im Schuljahr 2022/23
Kennen Sie die Geschichte Ihres Heimatortes oder gar Ihres Grundstückes?
Wie sie sich unmittelbar vor unseren Haustüren tatsächlich vor nicht allzu langer Zeit abgespielt hat, wurde uns Schülern der 10. Klassen in der Projektwoche bewusst.
Im Rahmen einer fünftägigen Projektwoche haben wir uns ausgiebig mit der Zeit des Nationalsozialismus und ihren Opfern beschäftigt. So beschäftigten wir uns sowohl
mit den Tätern, als auch mit den Opfern und den bekanntesten Widerstandsgruppen.
In Vorbereitung auf diese Woche haben wir bereits mit Richard Fagot, einem Überlebenden, gesprochen.
Wer waren diese Menschen überhaupt? Wie haben sie diese
Zeit erlebt?
Mit diesen Fragen sind wir am ersten Tag gestartet. Zu den wohl berühmtesten Beispielen gehören Anne Frank, von der viele bereits aufgrund ihres Tagebuches gehört haben, und Sophie Scholl, die gemeinsam mit ihrem Bruder Hans und anderen Studierenden die Widerstandgruppe „Weiße Rose“ bildete.
Wir versuchten, uns in die Situationen dieser hinein zu versetzten und verfassten unter anderem einen Tagebucheintrag, wie Anne Frank es tat. Viele von uns schrieben von den schlimmen Zuständen in den Zügen, die die Häftlinge in die Konzentrationslager brachten, der Sehnsucht nach dem früheren, unbeschwerten Leben und der Hoffnung, dass dieses Unrecht bald ein Ende finden möge. Diese Hoffnung, die das Einzige ist, was einem in solch schweren Zeiten bleibt.
Die direkte, geographische Nähe der Geschichte bekamen wir von Herrn Seger, Mitglied im Geschichtsverein Panketal, aufgezeigt. Er informierte uns am zweiten Tag in seinem Vortrag über Panketaler, die vor den Nazis geflüchtet sind, und jene, die es nicht mehr geschafft haben, zu fliehen. Sie sind in Gefangenschaft genommen und verschleppt worden.
Im Anschluss führte er uns durch die Gemeinde, um uns Denkmäler zu zeigen, die an
diese Menschen erinnern. Beispielsweise Stolpersteine wie auch die, die vor einem Jahr die damaligen Neuntklässler in an Erinnerung an die Familie Seelig mit gesetzt haben (Stolpersteinverlegung).
Den spürbaren Kontakt mit der Situation erlebten wir am Mittwoch. Trotz Wintermantel, Mütze, Schal, Handschuhen und Winterstiefeln spürten wir die Kälte im ehemaligen Konzentrationslager Sachsenhausen. Die Gefühle und Gedanken, die Ängste und Sorgen der Häftlinge, die ohne jeden Schutz stundenlang auf dem Appellplatz stehen, bis zur Erschöpfung arbeiten mussten und keine Möglichkeit zur Erholung hatten, können wir uns heute kaum vorstellen oder gar nachvollziehen.
Was ist ein Held?
Aufgewärmt von Tee und Kaffee bereiteten wir die Gedenkveranstaltung für Freitag vor, an der wir mitwirken durften. Wir diskutierten unter anderem, wie man in der Vergangenheit der Opfer gedacht hat, wie man es aktuell tut und wie man es in Zukunft tun sollte. Die Leitfrage war für uns, wie auch für Freitag als Gedenktag insgesamt: „Warum gedenkst Du heute?“.
Wir gaben uns Zeit, über diese Frage nachzudenken und schauten am Donnerstag „Schindlers Liste“, der vieldiskutierten Hollywood-Verfilmung von Steven Spielberg aus dem Jahr 1993.
Der Fokus lag dabei auf der Frage, wer der Held in dieser Geschichte war. Bevor wir nach einer Antwort auf diese Frage suchten, sammelten wir Stichpunkte, was einen Helden überhaupt ausmacht. Superhelden werden gern als kostümierte Muskelpakete dargestellt. Doch uns wurde klar, dass nicht immer Kostüm und Muskulatur einen Helden ausmachen. Vielmehr sind die emotionale Stärke, Empathie, Einfühlsamkeit und Zivilcourage entscheidend. Die Heldentaten des Oskar Schindler (oder anderer Personen in der Geschichte?) sind nicht die von Spiderman und Wonder Woman. Schindler rettete viele Menschenleben auch ohne Wunderkräfte. Dabei war es gar nicht von Anfang sein Ziel, sich für Zwangsarbeiter der Nazis einzusetzen. Er war sogar selbst Parteimitglied und profitierte lange Zeit von der Unterdrückung.
Die Geschichte, die übrigens auf wahren Begebenheiten beruht, ist emotional fordernd. Anonym schrieben wir unsere Gedanken auf Zettel und besprachen sie. Begriffe wie Traurigkeit, Anerkennung von den Heldentaten, Fassungslosigkeit und Wut, aber auch Schuldgefühle fanden sich auf den Zetteln. So schreibt ein Klassenmitglied „Ich möchte Vieles sagen, aber ich kann nur ´krass´ sagen…“.
Holocaust-Gedenktag in der Gedenkstätte Sachsenhausen
Die Woche endete für uns mit der Gedenkzeremonie in Sachsenhausen am 27.01., dem Internationalen Holocaust-Gedenktag. Wir erzählten Politikern und Angehörigen von Opfern, wie wir uns mit dem Thema des Nationalsozialismus und dem Gedenken an diese Zeit beschäftigt haben. Wir leiteten sie anschließend an, mit uns ein neues Gedenkstück zu erstellen. Ein Tape-Art-Kunstwerk aus Tape-Schleifen, auf die jede Person geschrieben hat, warum sie sich persönlich erinnert.
Viele schrieben, die Geschichte ist Vergangenheit und wird sich nicht ändern lassen. Aber deswegen müssen wir uns selbst und andere erinnern und dürfen nicht vergessen, um zu beschützen, was wir haben: ein freies Land, in dem jeder Mensch in Frieden und Freiheit leben kann. Wir haben für uns erkannt: „So etwas darf nie wieder passieren“.
Mit dem Ende der Woche endet nur unser Projekt; nicht aber die Geschichte. Die Vergangenheit wird bleiben, und wir schreiben jeden einzelnen Tag unsere Geschichte neu.
Mara Wotschke; Klasse 10a
Ein Bericht der Märkischen Allgemeinen über die Gedenkveranstaltung zum Holocaust-Gedenktag in Sachsenhausen fintet sich hier.